18.12.21

Gnostisches Christentum - Forum für ein gnostisch-rosenkreuzerisches Christentum - 10 Brief

10. Brief, München - November 2021



"Kommt und seht selbst" (Johannes 1, 39)

Briefe zum gnostischen Christentum


Der erste Schritt auf einem spirituellen Weg: Berührung durch das Göttliche

Es kann sein, dass ein Mensch, gleichgültig wie materialistisch er eingestellt ist, in seinem bisher latenten Geistfunken, der ja aus der göttlichen Welt stammt, eines Tages von der Schwingung der göttlichen Welt berührt wird. Der Geistfunke gibt Resonanz auf diese Berührung, und ganz andere als die gewohnten irdischen Schwingungen treten ins Herz dieses Menschen ein.
Denn wir sterblichen Menschen, in einer vom Tod bedrohten, total unsicheren, unglücklichen irdischen Existenz lebend, sind doch ununterbrochen und unausweichlich von der Liebe der den ganzen Kosmos durchziehenden göttlichen Welt umgeben. Sie wartet auf die Möglichkeit, unter Umständen endlose Zeiten lang, uns sterbliche, aus der Einheit mit ihr gefallene Menschen wieder in die Einheit, in die Unsterblichkeit und ins Glück eines erfüllten Lebens zurückzuführen.

Vielleicht ist ein solcher Mensch ziemlich ratlos, weil eine ganz andere, von den irdischen Schwingungen verschiedene kosmische Schwingung ins Bewusstsein eindringt, zunächst ins Herz. Neben den irdischen Einflüssen zeigt sich ein neuer Einfluss, der die bisherige Sicherheit stört. Er wird unruhig, fragt sich, was sich da plötzlich in seiner Seele bemerkbar macht.

Er hat das Gefühl, als würde ihm von einem Botschafter gesagt:
"Komm und sieh!"

Er erlebt in diesem Botschafter eine Schwingung, die mit seinen neuen Erlebnissen verwandt ist, und das lässt ihn vertrauen. Er spürt, in ihm ist eine neue Kraft wirksam, und er ist dieser Kraft in einem anderen Menschen begegnet. Es handelt sich also, so wird er schließen, um eine Realität, da seine Erlebnisse durch einen anderen bestätigt werden.
Der Kontakt mit einem solchen Botschafter oder einer Geistesschule ist die Voraussetzung für einen spirituellen Weg. Sie kann ihn dazu veranlassen, eine engere Bindung mit diesem Botschafter oder seiner Schule einzugehen. Er wird zum spirituellen Schüler.


Der zweite Schritt auf einem spirituellen Weg: das Heilbegehren.

Es wächst die Sehnsucht in seinem Herzen, an der von diesem Botschafter ausgehenden Liebe Anteil zu erhalten und wieder zur göttlichen Welt zu gehören. Das ist das Heilbegehren, das aus seinem Herzen aufsteigt, der zweite Schritt auf seinem Weg. Er spürt, dass er nur ein wirklicher Mensch werden wird, wenn die göttliche Liebe in ihm an Boden gewinnt und ihn von Grund auf verändert. Diese Sehnsucht in seinem Herzen wandert über das Blut hinauf ins Haupt, wo sie neue Gedanken hervorbringt. Sein Denken öffnet sich nicht nur intellektuell, sondern wie ein Schwamm, der neue Kräfte aufsaugt, auf neue Weise für die Universelle Lehre. Die Geistesschule oder der Botschafter, der den Kontakt zu ihm hergestellt hatte, erklären seinem durstigen Denken, dass es eine Welt gibt, aus der die Liebe stammt, die ihn berührt hat. Er spürt, dass diese Welt seine eigentliche Heimat ist. Er weiß immer deutlicher, dass er nur wieder in sie zurückfinden wird, wenn er die Einsicht gewinnt, dass die irdische Welt eine Welt des "Todes" und er selbst ein sterblicher Mensch darin ist.
Diese Erkenntnis über seine bisherige Selbsttäuschung und die Aufhebung der Täuschung durch die Wahrheit, ermöglicht durch die göttliche Liebe, ist die Grundbedingung des spirituellen Weges, auf dem er jetzt, eben durch seine wachsende Einsicht und seine Erkenntnissehnsucht immer klarere Orientierung gewinnt. Die Festigkeit seines Glaubens an seine göttliche Bestimmung als unsterblicher Mensch und an die erlösende Macht der Christuskräfte, die ihm in der jetzt gefundenen Geistesschule begegnen, wächst, und die Hoffnung, einmal wieder zur mit Gott einigen, ursprünglichen Menschheit zu gehören, nimmt zu.

Er erlebt, dass sich ein großer Teil der aus der göttlichen Welt hervorgegangenen Menschheit nie von dieser getrennt hatte und niemals in unsere irdische Welt geraten war. Die ursprünglichen Menschen hatten einen Weg eingeschlagen, auf dem sie, ohne jemals die Einheit mit der göttlichen Welt zu verlieren, ihr inneres Geistprinzip entwickelten, und entwickeln es weiter. Sie sind unsterblich und leben in einer uns unbekannten Welt, in der es keinen Tod gibt. Sowohl diese göttliche Welt als auch ihre Bewohner sind uns unbekannt, weil wir, aus der Einheit mit ihr gefallen, die Wahrnehmungsorgane für sie verloren haben. Ihre Bewohner, die ursprünglichen Menschen, kennen den Tod nicht. Denn sie leben aus der Einheit und unerschöpflichen Kraft der göttlichen Welt, während wir, wegen unserer Trennung von der göttlichen Welt, zu wenig Nachschub an Lebenskraft bekommen. Wir altern unweigerlich und sterben.
Das heißt doch: die göttliche Welt mit ihren unsterblichen Bewohnern ist im Kosmos vorhanden, seit Ewigkeit vorhanden, stets wirksam und kraftvoll. Ja, die Trennung aus der Einheit, die wir, die irdische Menschheit vollzogen haben, ist eine Anomalie im Kosmos. Deshalb ist die göttliche Welt bestrebt, uns die Rückkehr zur Einheit wieder zu ermöglichen. Das kann gelingen, weil in uns sterblichen Persönlichkeiten noch der ursprüngliche Keim aus der göttlichen Welt verborgen liegt, zwar latent geworden - aber er ist da und kann wieder zum Leben erweckt werden! Er wird von der göttlichen Welt angezogen, zu der er seinem Wesen nach gehört.

Selbstübergabe

Der dritte Schritt auf dem spirituellen Weg ist die Selbstübergabe des Schülers. Schon seine Bereitschaft, als inkarnierte sterbliche Ich-Persönlichkeit das Bestmögliche für die Bewusstwerdung des Geistfunkens im Mikrokosmos beizutragen und nicht durch Selbstbehauptung diese Entfaltung des Geistfunkens zu erschweren, war ein Stück Selbstübergabe gewesen. Und jetzt entdeckt er, dass auch seine neuen Empfindungen im Herzen und seine Einsichten im Haupt noch keineswegs ganz klar waren und sich immer wieder mit Zweifeln vermischt hatten.
Er fragt sich: Bin ich wirklich auf dem richtigen Weg? Sind meine neuen Empfindungen im Herzen und Einsichten im Haupt authentisch aus der Berührung meines eigenen Herzens und Denkens entstanden, oder waren sie nur Ergebnisse der immer wieder gehörten Worte und regelmäßig erlebten Rituale? War mir das Schülertum zur Gewohnheit geworden? Haben die Einflüsse meiner Weggefährten, der ganzen Gruppe oder der Leiter der Geistesschule mich bloß zum Schülertum überredet? Ist dadurch meine eigene Entwicklung verhindert worden?
Es fragt sich tatsächlich, ob die gnostischen Einsichten und Empfindungen des Schülers wirklich aus dem eigenen Geistfunken entstanden waren, wenn auch mit Hilfe des Kraftfelds der Geistesschule, oder ob sich sein Ich nur gnostisch verkleidet hatte. Solche Zweifel sind unvermeidliche Begleiter des Schülers der dritten Stufe des Weges. Denn sein Ich ist noch keineswegs ganz in der Gnosis aufgegangen. Es kommt nun darauf an, dass er die Zweifel nicht verdrängt. Er muss sich ihnen stellen und sie im Licht seines durch sein Schülertum doch schon veränderten Bewusstseins betrachten. Er wird entdecken, dass er sich oft Illusionen über seine Fortschritte auf dem Weg gemacht hatte. Es kommt jetzt darauf an, nicht aufzugeben, und ehrlich einen neuen Anfang zu machen.
Wenn er sich mit frischem Mut daran macht, die universelle Lehre und die damit verbundenen Wahrheiten erneut in sich wirken zu lassen, unterstützt vom Kraftfeld der Geistesschule, wird er erkennen, woher diese Zweifel gekommen waren, und dass er wirklich schon von Gewohnheiten abhängig geworden war. Die gnostischen Kräfte, die bereits in ihm Wurzel geschlagen haben, werden ihm dabei helfen. Es geht um Aushalten dieser Zweifel im Licht seines Bewusstseins: um das Endura = Aushalten, wie die Katharer diese Phase des Weges nannten.

Noch größere Probleme werden auf den Schüler zukommen. Er hatte in der Tiefe seiner Seele erkannt, wie bodenlos und letzten Endes sinnlos die irdische Welt mit ihrem Wechsel von Tod und Leben, von Hoch und Niedrig, mit Krankheiten, Armut und Konflikten ist. Aber die Neigungen seines eigenwilligen Ichs, diese Probleme mit Macht oder Geld oder Selbst-Überredung aus der Welt zu schaffen, sind noch nicht gestorben. Er erkennt und spürt, welche irdischen Kräfte in ihm die Wahrheit über den Charakter der irdischen Welt und über die prinzipielle Unfähigkeit des irdischen Menschen, mit den Übeln der Welt fertig zu werden, immer wieder zerstören wollen. Er versucht doch immer erneut, alle Kräfte seines Ichs einzusetzen, um hier Abhilfe zu schaffen - und gerade damit versäumt er die Aufgabe auf dieser dritten Stufe des Weges.
Sie besteht darin, dass er die Neigungen des Ichs in den Kräften der göttlichen Liebe und Kraft, die aus dem Geistfunken hervorgehen, erkennt und in diesen Kräften allmählich untergehen lässt. "Wer sein Leben verliert um des inneren Christus willen, der wird das wahre Leben finden" - so wird diese Aufgabe in den Evangelien beschrieben. Er vermag also in seiner inneren Kraft der göttlichen Liebe und in der helfenden Liebeskraft eines Botschafters aus der göttlichen Welt, seine Ich-Maßnahmen und -vorstellungen zur Rettung vor der lauernden Todesangst ins Auge zu fassen.
Dann wird er ihm die Relativität der Vorstellung, dass die irdische Welt doch auch ihre positiven Seiten hat, allmählich einleuchten. Für den irdischen Menschen hat sie diese Seiten tatsächlich, er würde sonst als irdischer Mensch nicht existieren können. Aber für den tiefer blickenden Schüler einer Geistesschule wird diese Einsicht allmählich zu einer Gewissheit werden. Erst recht wird das Streben nach Macht, Reichtum und Überlegenheit allmählich aufhören, und die all diesen Versuchen zu Grunde liegende Angst vor dem Tod wird allmählich schwinden.

Es wird ihm im Lauf der Zeit tatsächlich bewusst werden, dass sein Ichbewusstsein ihn zu täuschen versucht. Es wird ihm suggerieren, sein Ich besäße die göttliche Liebe bereits. Er hält sich für einen besonders liebevollen Menschen und ausnehmend guten Schüler. So wird er zu einem Schwärmer, der mit den gewohnten Methoden des Ichs die göttliche Liebeskraft, die von seinem Geistfunken ausgeht, auszunützen versucht.
Auch diese Versuchung wird er in den allmählich in ihm wachsenden gnostischen Kräften überwinden. Immer erneut überwindet er sie, immer erneut dringt jedesmal, wenn er sich selbst durchschaut, die göttliche Liebe ins Bewusstsein ein und lässt ihn die Täuschung erkennen. Eben so wenig zwingt er sich zur Selbst-Übergabe, um die göttliche Liebe an sich zu binden. Er greift nicht mehr nach der göttlichen Liebe.
Schritt für Schritt gewinnt so die göttliche Liebe in seiner Seele an Boden. Er erkennt und spürt, welche Ich-Kräfte die Wahrheit über die menschliche Existenz immer wieder zerstören wollen. Das Ich-Bewusstsein fragt in ihm: Ist die Schönheit der Natur oder der Kunst nicht doch ein Wert, der dem Leben dauernden Sinn geben könnte? Wäre es nicht doch eine Möglichkeit, die Übel der Welt mittels Technik und Zwang zu beseitigen? Hinter solchen Vorstellungen lauert immer noch die alte Todesangst, die das Ich zu motivieren versucht, all seine Macht einzusetzen. Aber so viel hat der Schüler bereits verstanden: Je mehr Macht das Ich einsetzt, desto mehr werden die Gegenmächte der anderen Ichs und der irdischen Welt gestärkt, und nur größere Konflikte sind die Folge.
Die wahrhaftige Selbst-Übergabe wird im Christentum mit den Worten beschrieben: "Er, der neue Mensch, muss wachsen, ich, der alte Mensch, muss untergehen" (Johannes 3, 30). In jedem Augenblick, in dem die göttliche Liebe im Seelenbewusstsein des Schülers wirkt, geht ein Stückchen Ich-Bewusstsein unter. Und umgekehrt: In jedem Augenblick, in dem ein Stückchen altes Bewusstsein durch Selbsterkenntnis untergeht, leuchtet ein Glanz im neuen Bewusstsein auf. Und immer wird der Schüler nicht zu sich selbst sagen: So musst du es machen, sondern er wird zu sich sagen: So wird es geschehen, wenn du es zulässt.
Er vermag in der göttlichen Liebe als innerer Kraft, oder auch in der helfenden Liebeskraft eines Botschafters aus der göttlichen Welt, seine Ich-Maßnahmen und -vorstellungen ins Auge zu fassen, die ihm suggerieren, ihn vor der lauernden Todesangst retten zu können. Die Schönfärberei wird allmählich aufhören, das Streben nach Macht, Reichtum und Überlegenheit wird allmählich aufhören, die all diesen Versuchen zu Grunde liegende Angst vor dem Tod wird allmählich aufhören.

Allmählich wird sich trotz allen Stolperns und Versagens im Schüler eine tiefe, sichere Freude einstellen, dass er den Sinn seines Lebens gefunden hat. Was auch geschehen mag, welche Schwierigkeiten das irdische Leben und Schicksal auch noch für ihn bereithalten - die stille Freude auf dem Grund seines Wesens ist nicht mehr zu vernichten. Diese Freude ist das sicherste Merkmal dafür, dass er sich nicht von außen bekehren hat lassen, sondern aus seinem Inneren, aus seinem neu belebten Geistfunken, aus seiner eigentlichen Identität lebt.
Damit hat er einen neuen Grad der Selbstständigkeit gewonnen. Er kann und wird nun versuchen, aus dieser eigentlichen Identität seine Mitmenschen und die irdische Welt zu betrachten. Gereift durch seine vielen inneren Kämpfe und erwachsen geworden, wird er die irdische Welt nicht mehr nur als feindliches Gebiet auffassen, das er so schnell wie möglich durchqueren sollte. Er wird sie eher als Erfahrungsschule sehen, die ein neues Bewusstsein, einen selbstständigen Kompass in ihm herausbildet, mit dem er frei seinen Weg suchen kann. Nur so wird er auch anderen helfen können. Das ist die vierte Stufe seines Weges

Neue Lebensführung

Nach der Lösung von der irdischen Welt und ihrem Griff kann er selbstständig und angstfrei erkennen, dass auch diese irdische Welt ihren Sinn hat und hatte. Sie war von Gott als Wohngebiet für all die Menschen geschaffen worden, welche die göttliche Welt verlassen hatten, um ihre eigenen Wege zu gehen. Sie ist zwar eine Ordnung der Schmerzen und des Todes, der Selbsttäuschungen und Konflikte, in der die irdischen Mächte zerstörerisch auf den Schüler einwirken und ihn von seiner Aufgabe zurückhalten wollen. Zugleich ist sie aber auch eine "Not-Ordnung", eine von Gott geschaffene provisorische Ordnung für ihn, den von der göttlichen Welt getrennten Menschen.
In dieser "Not-Ordnung" konnte und kann er durch die Wirksamkeit des Karmas, das ihm unendliche Leiden zufügt, aber auch durch die Hilfe von Botschaftern aus der göttlichen Welt Einsicht in seine Lage, deren Ursache und die Möglichkeit eines Weges zurück in die göttliche Welt finden. Auf der dritten Stufe des Weges war er noch in den irdischen Übeln, dem Tod und der Angst vor dem Tod gefangen. Er hatte in der Kraft der göttlichen Liebe versucht, die Wurzel dieser Gefangenschaft, sein irdisches Ich, zu erkennen und loszulassen. In diesem Stadium musste er die irdische Welt und sein Ich als Gegner empfinden, damit er diesen Gegnern und ihren Täuschungen nicht wieder verfiel.

Hat er aber durch Selbstübergabe an die Gnosis festen Boden unter den Füßen und Abstand von der irdischen Welt und sich selbst gewonnen, kann er eine neue Haltung ihnen gegenüber einnehmen.
Es wäre ein Fehler, wenn er zu früh diese Einstellung gewinnen oder übernehmen würde. Wenn er, noch im Kampf begriffen, behaupten würde, die irdische Welt sei doch aus der göttlichen Welt entstanden, also sei er prinzipiell schon von ihr befreit. So würde er den Ernst seiner Verstrickung in die irdische Welt erneut unterschlagen und nicht auflösen. Erst wenn er die bindenden Kräfte der irdischen Welt erkannt, durchlebt und weitgehend aufgelöst hat, ist er fähig, ihr selbstständig gegenüberzustehen. Dann ist die Zeit gekommen dass er sie unter einer anderen Perspektive als bisher einschätzt. Beide Perspektiven gelten, je nach Entwicklung des Schülers. Es wäre so, wie wenn ein Schulanfänger mit dem großen Einmaleins beginnen würde. Er würde niemals auch nur die Grundrechenarten erlernen können.
Erst nach dem tapferen Durchleben der gegensätzlichen Eigenschaften der irdischen Welt wird eine neue Kraft im Schüler entstanden sein.
In der durch sein Endura errungenen Ruhe kann er allen Ereignissen, in seinem Leben und im Leben anderer, neutral gegenüberstehen und abwarten. Er erlebt in sich den Zustand und die Probleme anderer Menschen. Die in ihm gewachsene Einsicht und Liebe zeigen ihm, wo es sinnvoll ist einzugreifen, oder geschehen zu lassen. Wenn ein Eingreifen sinnvoll ist, zeigt ihm sein neuer Bewusstseinszustand, welche Tat oder Unterlassung das Richtige ist. Er wird das "Nichttun" Lao Tses lernen. Denn nicht mehr sein Eigenwille und sein Ich sind die Triebfedern seines Handelns. Im Gegenteil, wenn er im Strom der göttlichen Liebe und Einsicht mitschwingt, wirken diese auf die Verhältnisse ein, und sein Ich ist nur noch das willfährige Werkzeug. Die göttliche Weisheit und Liebe, die in ihm Wohnung genommen haben, wirken bewusst durch ihn. "Des Himmels Tao ist fördern, ohne zu schaden. Des Weisen Tao ist wirken, ohne zu streiten" (Tao Te King 81).

Transfiguration

Wenn die göttliche Weisheit und Liebe durch das Durchleben des Endura und durch das Zurücktreten seines Ichs in der Seele des Schülers befestigt worden sind, werden sie sein Blut, seine Nerven, seine Empfindungen und sein Denken erfüllen und in jedem Augenblick von ihm ausgehen. Er wird mit geändertem Denken und Fühlen erkennen, welches Handeln in einer bestimmen Situation notwendig und möglich ist, um die Liebeskraft in der Welt wirken zu lassen. In dem Maß, wie er sich so verhält, wird das Ergebnis seiner Arbeit auf ihn zurückwirken und die Kraft in ihm wiederum verstärken.
Sie wird allmählich all seine Hormonstrukturen, Nerven und Zellen durchdringen und verändern, so, dass sein Denken sich dem göttlichen Denken, sein Fühlen sich dem göttlichen Fühlen und sein Wollen dem göttlichen Wollen angleicht. Das wird auch bestimmte Zellen seines stofflichen Körpers verändern und mit unvergänglicher Ursubstanz "laden". Teile seines stofflichen Körpers, die nicht für das irdische Leben notwendig sind, werden transfiguriert und unsterblich werden. Das ist eine Art spirituelle Psychosomatik: Jeder Gedanke, im Einklang mit dem göttlichen Denken, verändert, über das Nervensystem und das Schlangenfeuer mit den Chakren, das Blut und die gesamte Zellstruktur eines solchen Menschen.
Das ist die fünfte Stufe des Weges, die "Transfiguration", die allmähliche Verwandlung auch des physischen Körpers in eine unsterbliche Gestalt.
Es entsteht ein sogenannter "Auferstehungsleib", wie man ihn von Jesus dem Christus kennt: Dieser Leib wächst im alten sterblichen Körper heran, der aber, solange der Schüler noch lebt, weiter benutzt werden kann. Beim Tod dieses sterblichen Körpers ersteht der Auferstehungsleib samt Geist und Seele aus dem "Grab" der irdischen Welt unsterblich auf und kehrt in seine Heimat, die göttliche Welt zurück. Die Einheit mit der göttlichen Welt ist wieder hergestellt, und diese wirkt als Wahrheit, Liebe und schöpferische Freiheit in dem vollständig Befreiten. Er hat die Freiheit, in die göttliche Welt, die Einheit mit dem "Vater" zurückzukehren Er wird, wenn erforderlich, als Botschafter aus der göttlichen Welt wieder in die irdische Welt zurückkehren, um den dortigen Menschen auf ihrem Weg zurück zu helfen.

Alles, was ein solcher Botschafter während seines irdischen Lebens an neuen Erkenntnissen und Kräften ausgeteilt hat, wirkt in Form von Schwingungen in der irdischen Welt weiter.
Im Christentum wird diese Fortwirkung im Symbol des Abendmahls beschrieben, das Jesus kurz vor seiner Auferstehung mit seinen Schülern zu sich nahm. Die von ihm gebrachte neue Erkenntnis wird als "Brot", als neue Denkkraft, symbolisiert, die neue Liebeskraft als "Wein". Beides wirkt seitdem durch die Jahrhunderte in der irdischen Welt für alle fort, die sich auf den Weg zurück in die göttliche Welt begeben, zumeist mit Hilfe seiner Schüler und Schülersschüler oder neuer Geistesschulen. Seit der Auferstehung des Christus Jesus stehen diese Kräfte allen dafür empfänglichen Menschen zur Verfügung.

So kann jeder Mensch als Schüler in einer Geistesschule auf einem fünffachen Weg von den göttlichen Einflüssen berührt werden, in diesen Einflüssen eine innere Arbeit vollbringen. Dadurch kann er die irdische Welt und Ich-Seele mit ihren Begrenzungen und ihrem Gut und Böse erkennen und überwinden, um schließlich in einen Zustand der Freiheit des Geistes einzutreten. Das ist der Weg zurück in die göttliche Welt, der in der Gegenwart von jedem dafür bereiten Menschen zumindest begonnen werden kann, und die Zukunft der ganzen Menschheit sein wird.

Im letzten, dem neunten Brief, war es um Symbole und ihre Bedeutung für den spirituellen Weg gegangen. Ein solches Symbol war die Begegnung von Jesus mit einem unfruchtbaren Feigenbaum gewesen (Matthäus 21, 18- 20).
In seinem Antwortbrief hatte ein Verfasser, der die Symbolik dieses Gleichnisses gut verstanden hatte, vorgeschlagen, man könnte doch auch an das Symbol eines "fruchtbaren Feigenbaums" mit Wurzeln am göttlichen Lebenswasser denken, der niemals verdorrt. Tatsächlich: Weihnachten ist der Beginn eines wachsenden Feigenbaums. Weihnachten heißt, dass ein göttlicher Same, ein Christussame, in eine irdische Persönlichkeit inkarniert, um in ihr alle fünf Stufen des spirituellen Weges zu durchleben. So baut er eine unsterbliche Persönlichkeit auf, die schließlich aus dem Grab der Natur aufersteht und seine wirksamen Kräfte in der Welt zurücklässt. Ein solcher Christussame wartet in jedem von uns darauf, erweckt und geboren zu werden.
In einem gnostischen Text des 2. Jahrhunderts n.Chr. erlebt Johannes, der Schüler Jesu, auf dem Ölberg ein "fest stehendes Lichtkreuz" ... "Den Herrn selbst aber nahm ich über dem Kreuz wahr. Doch hatte er keine Gestalt, sondern nur eine Stimme, aber es war nicht die uns gewohnte, sondern eine überaus milde, gütige und wahrhaft göttliche Stimme."
Zu allen Zeiten wird Jesus der Auferstandene in seinen Schülern ein Lichtkreuz errichten. Niemals braucht der Schüler zu befürchten, allein gelassen zu werden. Denn der Gekreuzigte und Auferstandene sagt in diesem Text zu Johannes: "Erkenne nämlich, dass ich ganz beim Vater bin, und der Vater bei mir ist." ("Das Lichtkreuz", Königsdorfer Verlag, 2018).


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