16.07.23
Gnostisches Christentum - Forum für ein gnostisch-rosenkreuzerisches Christentum - 20 Brief
20. Brief, München - Juli 2023
Briefe zum gnostischen Christentum
„Kommt und seht selbst!“ (Johannes 1, 39)
München, Juli 2023
20. Brief: Die Bergpredigt II
(2. Teil der Seligpreisungen; „Salz“ und „Licht“)
„Selig sind die Friedensstifter; denn sie werden Söhne Gottes heißen“. So lautet die siebte Seligpreisung.
In den gedruckten Bibeln steht bis heute statt „die Friedensstifter“: “die Friedfertigen“. Doch im Griechischen heißt es eindeutig „die Friedensstifter“. „Die Friedfertigen“ sind nur ein anderes Wort für „die Sanftmütigen“, und gegenüber der dritten Seligpreisung wäre dann in der siebten weder ein Fortschritt im Gedankengang noch eine Vertiefung enthalten. Das Wort „friedfertig“ wird außerdem in der Regel auf den gläubigen, frommen Ich-Menschen bezogen, der sich um Streitlosigkeit bemüht. Denn vollkommene Friedfertigkeit wird auch der gläubigste Ich-Mensch nicht erlangen.
Und wieso sollten diese unvollkommenen Friedfertigen einmal „Söhne Gottes“ heißen?
„Friedensstifter“ dagegen sind aktive Menschen, und nur für solche kann eventuell gelten, dass sie „Söhne Gottes“ sind. Friedensstiftung ist eine neue Aktivität, hervorgehend aus dem göttlichen Geist, den der Friedensstifter in der ersten Seligpreisung als „Wahrheit“ bereits ersehnt hatte. Denn der erste Aspekt der unendlichen Gottheit ist die Wahrheit, die als unwandelbare Struktur den Kosmos samt all seinen Lebewesen erschafft und aufbaut. Schließlich hatte er in der sechsten Seligpreisung mit einem reinen Herzen die „Güte“ Gottes geschaut, welche der zweite Aspekt des göttlichen Wesens ist, das den ganzen Kosmos durchzieht.
Ein „Friedensstifter“ lebt sowohl aus dieser göttlichen Wahrheit als auch aus der göttlichen Güte und kann eben dadurch ein „Friedensstifter“ sein, der den dritten Aspekt der Gottheit verkörpert, den „Sohn“. Der „Vater“ als die göttliche Wahrheit und die „Mutter“ als die göttliche Güte bringen den „Sohn“, den gerechten Frieden, auf der Erde hervor. Und es gibt viele „Söhne Gottes“, wie aus dieser siebten Seligpreisung hervorgeht, nicht nur den einen Sohn Christus.
Wie wirkt ein Sohn Gottes als Friedensstifter auf der Erde und in der Menschheit? Er kann und darf der Menschheit den göttlichen Frieden nicht aufzwingen. Das wäre gegen die dem Menschen von Gott gewährte Freiheit. Er kann nur erkennen, wo im menschlichen Chaos Friedensstiftung im Rahmen des Karmas der Menschheit erlaubt und möglich ist, und in dieser Erkenntnis intelligent handeln. Nur wenn Menschen freiwillig mit seinen Kräften, Vorschlägen und Rufen mitarbeiten, wird allmählich Frieden entstehen. Bewusste Mitarbeit mit dem Friedensstifter aber bedeutet, dass ein von ihm gerufener Mensch einen befreienden Weg geht, der allen Streit im menschlichen Wesen auflöst.
Der Friedensstifter wird daher überhaupt erst einmal in der Kraft der göttlichen Güte eine unsichtbare seelische Grundlage auf der Erde, ein Kraftfeld, erschaffen, das den Menschen die Möglichkeit gibt, den eigenen Ich-Zustand als die Quelle aller Konflikte zu erkennen. Denn ihr Bewusstsein ist zunächst noch gänzlich an die Gesetze und Kräfte der irdischen Welt gekettet. Wenn nicht von oben her, aus der göttlichen Wahrheit, ein solches Kraftfeld der Güte gebildet würde, das einem veränderten Bewusstsein der irdischen Menschheit eine Grundlage und Stütze zur Entwicklung gäbe, könnte sie sich nicht befreien. Nur wenn ein Ruf aus der göttlichen Welt die Gefängnismauern der irdischen Welt durchdringt, kann sich in einzelnen Menschen der „Hunger und Durst“ nach dem Geist der Wahrheit, von dem die erste Seligpreisung spricht, aus der Übermacht der irdischen Welt befreien.
Deshalb beginnt der Weg, der durch die Seligpreisungen beschrieben wird, stets in der Obhut und mit Unterstützung eines gütigen „Friedensstifters“. Mit anderen Worten: Er stiftet Frieden, indem er dazu bereiten Menschen einen befreienden Weg erschließt. Er gründet zum Beispiel eine Gemeinschaft von Schülern, die sich nach einem solchen Weg des Geistes sehnen, eine Mysterienschule, wie das in der Antike hieß, oder einen „Aschram“ in östlicher Terminologie.
Nach der ersten Stufe dieses Weges, auf der die Schüler sich durch ihre Sehnsucht nach dem Geist der Wahrheit mit diesem verbinden, fördert der Friedensstifter auf der zweiten Stufe deren Einsicht in die Ursache, warum sie sich im Zustand der tiefen Trauer über den Zustand der irdischen Welt und ihrer selbst als Ich-Menschen befinden, und vermittelt ihnen den Trost der göttlichen Welt.
Auf der dritten und vierten Stufe lernen seine Schüler sich selbst als Ich-Menschen besser kennen und schwächen ihr Ich dadurch, dass sie ihren Zorn und ihren Neid im Kraftfeld der Geistesschule abbauen, um zur Sanftmut und Gerechtigkeit einer neuen Seele zu gelangen. Schließlich hilft ihnen der „Friedensstifter“ dabei, ihr allzu eigenwilliges Ich in der fünften Seelenkraft der Barmherzigkeit „ersterben“ zu lassen. Und auf der sechsten Stufe des Weges treten sie ins Meer der göttlichen Güte ein und öffnen das aus und mit dem ganzen Körper wirkende Auge des Herzens für diese Güte. Nur so werden Barmherzigkeit und Frieden in den Schülern entstehen. Sie werden durch Resonanz auch andere dafür empfängliche Menschen erreichen und verändern, bis die Kriege und das Kriegsgeschrei auf der Erde aufhören.
Denn woher stammt der Unfriede auf Erden? Aus der Abwesenheit der göttliche Güte und Wahrheit im menschlichen Herzen und aus den unzähligen Versuchen, den Frieden durch Aktivität des Ich-Verstandes doch zu etablieren. Haben denn die hoffnungsvollsten gesellschaftlichen Organisationen und Techniken jemals dauerhaften Frieden zwischen Menschen und Völkern gestiftet? Erst die Einsicht in den wahren Grund der Konflikte, nämlich in die Trennung von Gott, und der Versuche, sie durch eigenwillige Maßnahmen des Ichs aufzuheben, kann einen nachhaltigen Frieden hervorrufen. Was ist daher der wahre Grund des Unfriedens? Das von Gott getrennte Ich, das seine Lage, an die es gewöhnt ist, nicht aufgeben, oder aggressiv seine Situation ändern will. Erst wenn es auf einem Schülerweg sich selbst und die irdische Welt als „Wüste“ erkennt und sie freiwillig bis zum „verheißenen Land“ des neuen Seelenzustands durchzieht, wird sich die Kraft Gottes dem Seelenauge zeigen und eine sanftmütige, barmherzige, gerechte neue Seele hervorbringen.
Dann wird neben der Güte, dem zweiten Aspekt des göttlichen Geistes, die Wahrheit, der erste Aspekt des göttlichen Geistes als ewig gültige Struktur des Alls in den Menschen und ihrer Gesellschaft zum Vorschein kommen. Dann wird der Friedensstifter mit seinen Schülern den dritten Aspekt Gottes, die vollkommene Harmonie zwischen Geist und Seele erleben.
Fördert er diese Harmonie, indem er als mächtiger Politiker Verträge schließt, Interessen ausgleicht, eine Weltregierung einsetzt, die sicher in Diktatur ausarten wird, weil die Voraussetzungen zum Frieden in den Seelen der Menschen nicht vorliegen? Denn Menschen wie Völker werden ihre unterschiedlichen Interessen nicht preisgeben und stets weitere Konflikte hervorrufen, die durch eine gewaltsam herrschende Weltregierung niemals „befriedet“ werden können. Und ist dauernde Unterdrückung durch Zwang wirklicher Friede? Insgeheim werden doch stets rebellische Gedanken und Ressentiments in den Ich-Menschen wirken. Ein glücklicher, den Ich-Menschen zufrieden stellender Friede wird so niemals möglich sein.
Ist vielleicht der Pazifismus die letzte Rettung? Wird der Friedensstifter ein Pazifist sein? Er wird wissen, dass im irdischen Leben der Pazifismus keine Chance hat und weder vernünftig ist, noch durch ein Jesus-Gebot gerechtfertigt werden kann. Jeder irdische Mensch hat das Recht, Leben, Leib und Gut zu verteidigen, und wird es im Ernstfall tun – oder sich sogar töten lassen, vielleicht im irrigen Glauben, Jesus habe auch dem irdischen Menschen absolute Friedfertigkeit geboten. Ein Gesetz des irdischen Lebens ist, dass ein irdischer Mensch nicht anders kann, als Leben zu vernichten. Von Rudolf Steiner ist der Ausspruch überliefert: „Wenn der Mensch atmet, stirbt die Luft.“ Er kann nur Schaden begrenzen und Frieden fördern, aber dieses Gesetz nicht abschaffen.
Wenn sich die Menschen nicht innerlich und von innen her durch „Friedensstifter“, „Söhne Gottes“, mit der göttlichen Wahrheit und Güte verbinden, wird niemals Friede entstehen.
Die achte und neunte Seligpreisung lauten: „Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Reich der Himmel“, und: „Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und alles Arge wieder euch reden um meinetwillen – und damit lügen.“
Ist der Umstand, dass ein Schüler wegen seines Bergpredigtlebens verfolgt oder verleumdet wird, ein Beweis für die Richtigkeit des von ihm eingeschlagenen Weges? Kann sich ein Schüler Jesu, der verfolgt oder verleumdet wird, auf dem sicheren Weg ins Himmelreich fühlen? Es ist tatsächlich die Regel in der irdischen Welt, dass ein Schüler, der den von Jesus gezeigten Weg geht, sein Leben anders führt als der durchschnittliche Bürger und wegen seiner Andersartigkeit Anstoß oder sogar Hass erregt. Deshalb hatte Jesus einst gesagt: „Sie hassen mich ohne Ursache.“
Ein Außenstehender spürt im Schüler möglicherweise die seelischen Vorgänge, die seinem eigenen Zustand nicht entsprechen, und hält den anderen für hochmütig oder eigenbrötlerisch. Ist also Verfolgung ein Beweis, der allen Zweifel am Weg selbst oder am richtigen Verhalten des Schülers aufhebt? Aber sollte die Sicherheit, in der Wahrheit zu stehen, von einem solchen „Beweis“ abhängen? Muss nicht die innere Erfahrung des Schülers allmählich alle Zweifel tilgen?
Und sollte der Schüler nicht lieber denken, dass Verfolgungen und Verleumdungen seine Treue zum Weg auf die Probe stellen und seine Seele stärken? Müssen die Feindschaft der äußeren Welt und die daraus entstehenden Zweifel des Schülers ihn nicht zu genauerer Prüfung seines Zustands veranlassen, und die Qualität seiner Seele und seine Verbindung zu Gott allmählich erhöhen? Sollte nicht das der Lohn sein, der auf den Schüler im Himmel wartet, ohne dass er danach strebt? Je größer die Leiden in der irdischen Welt, desto mehr werden die Wahrheit, Güte und Gerechtigkeit, die seine neue Seele sind, als wesentlich erkannt werden. Die Freiheit gegenüber der irdischen Welt wird wachsen und dadurch die Möglichkeit, ihr die Kraft der Wahrheit und Liebe mitzuteilen. Das ist unter anderem auch ein Inhalt der dritten Seligpreisung
Solche Überlegungen haben Menschen oft zu dem Gedanken verführt: Wenn unverschuldete Leiden die Widerstandskraft und Eigenschaften der neuen Seele stärken: Wäre es dann nicht geboten, sich freiwillig ins Leiden zu stürzen und Verfolgung zu provozieren? Es liegt auf der Hand, dass eine solche Methode die den Schüler umgebende Wirklichkeit nur verzerren und die Wahrhaftigkeit seines Weges behindern würde. Solche Ich-Methoden sind dem Weg des Schülers noch niemals förderlich gewesen.
Doch vielleicht könnte er sich darüber freuen und „selig sein“, dass Verfolgungen und Verleumdungen, bewusst erkannt und ausgehalten, den Zorn, den Hader, und die Selbstgerechtigkeit des Ichs schneller absterben lassen? Das Leiden in und an der irdischen Welt wird die Neigung zu ihr weiter schwächen und die im Herzen wirkende Anziehungskraft der göttlichen Welt stärken. Das wäre eine positive Wirkung der Verfolgungen von außen, wodurch sich die neue Seele weiter festigen würde. Es wäre erneut eine Bestätigung der Grundformel des Schülerwegs: „Wer sein Ich-Leben verlieren will um des neuen Lebens willen, der wird dieses neue Leben finden.“ „Ihrer ist das Reich der Himmel.“
Die Schüler Jesu, die als „Friedensstifter“ die siebte Seligpreisung vernehmen, werden außerdem das „Salz“ und das „Licht“ der Menschen sein.
Denn wenn sie selbst von der Kraft, dem „Salz“ der göttlichen Lehren, durchdrungen sind, werden sie die Welt mit dem „Salz“ der Wahrheit durchdringen: „Ihr seid das Salz der Erde“, sagt Jesus „auf dem Berg“ zu ihnen (Matthäus 5, 13). Die ganze irdische Welt und die „faden“ Seelen ihrer Bewohner werden von den Schülern mit dem Salz des Geistes imprägniert und „gesalzen“ werden. So wecken sie diese Seelen aus ihrem dumpfen Schlaf. Vielleicht werden sie dann ihrerseits, als neue Schüler Jesu, vom kräftigen Geschmack des göttlichen Lebens und der göttlichen Lehren gestärkt, zum „Salz der Erde“ werden.
Die meisten Menschen schlafen. Ihrem Leben mangelt die Würze der Sehnsucht nach dem Geist und der bewussten, befreienden Eingriffe in den öden Alltag. Von Jesus geht dieses Salz aus, die Schüler nehmen es auf und werden verwandelt, und durch sie könnte die ganze Welt aus ihrer Trägheit und Unwissenheit erwachen und nach der Kraft der Wahrheit suchen.
Wenn aber schon die Schüler des Meisters träge und taub für die Stimme der Wahrheit werden und die Schärfe des Salzes verlieren – was soll dann aus den Menschen überhaupt werden? Sie werden im Chaos versinken, und die Schüler werden mit ihnen untergehen und „zertreten“ werden.
Auch das „Licht der Welt“ sind die Schüler Jesu. Licht zu sein, ist ihre Aufgabe, nachdem sie das Licht der Wahrheit erkannt haben. Diese Aufgabe folgt von selbst aus ihrem neuen, vom Licht entzündeten Wesen, sie müssen nichts absichtlich demonstrieren. Aus ihrem neuen Wesen sollten mit Selbstverständlichkeit auch die Kraft und der Mut folgen, mit dem Licht der Wahrheit anderen zu leuchten.
Aber als irdisch Geborene sind auch diese Schüler oft noch schwache, ängstliche Menschen. Sie verbergen sich lieber in den Niederungen der Anonymität und passen sich, selbst grau, der grauen Masse an.
Werden sie auf ihrem Weg den Mut schöpfen, empfänglichen Hörern frei zu begegnen? Aufdringlich werden sie nicht sein. Aber sie werden so leben, dass ihr Verhalten zeigt, wie ein Leben in der aus Gott geborenen Wahrheit, Güte und Gerechtigkeit aussieht. Aus einem solchen Leben gehen spontan, absichtslos, die „guten Werke“ hervor, von denen Jesus spricht. Wer diese Menschen sieht, schließt von ihnen auf eine Möglichkeit, die auch ihm offen steht: auf die Wirklichkeit des Vaters, der in den Himmeln ist.
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